#1

Rodenstock 6x9 (Welta Perle)

in Erfahrungsberichte 05.03.2011 23:27
von Gelöschtes Mitglied
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Hallo,

heute gibt es ein paar Impressionen zu einer 6x9-Faltkamera, die mir ob ihrer Eleganz immer mehr ans Herz wächst. Es handelt sich um eine Welta Perle, in dieser Form von 1932 bis 1936 hergestellt. Ins Leder geprägt steht "Rodenstock", in der Literatur konnte ich aber keine entsprechende Rodenstock-Konstruktion finden. Die Welta Perle ist besser dokumentiert und ich bin mir im Vergleich zu meiner 100% sicher, daß es sich um eine solche handelt. Vielleicht ein Joint-Venture mit dem Objektivlieferanten, wer weiß.

Was hat mich nun Anfang Mai 2010 spontan so angesprochen, daß ich sie auf dem Flohmarkt am Berliner Mauerpark einfach erwerben mußte (übrigens bei einem sehr netten, kenntnisreichen und kultivierten Verkäufer für faire 35 Euro)?

1. Die Freude fängt schon an, wenn sie zusammengeklappt ist. Sie hat eine schlanke, völlig glatte, an den Enden abgerundete Etuiform, schwarz beledert, die Kanten in blankem Metall. Sie ist zusammengelegt sehr flach, ein kompakter Handschmeichler, sehr elegant.
2. Die Kamera atmet im Detail noch den Geist der 20er Jahre: Die Fokussierung erfolgt noch über einen Laufboden, die Blendenreihe zeigt noch die alte Numerierung 4,5-6,3-9-12,5-18-25-36 (!), die Einstellung des selbstspannenden Pronto-Verschlusses erfolgt noch nicht an einem Objektivring, sondern an einem aufgesetzten Rädchen. Très chic. Der Verschluß wird durch ein Nothebelchen am Objektiv ausgelöst, eigentlich ist aber ein Drahtauslöser angemessen und angesichts des Hakel-Hebelchens des recht harten Verschlusses für ein verwacklungsfreies Auslösen auch sinnvoll.
3. Die Ausstattung spricht an: Gut, der Verschluß könnte zeitenreicher sein, das Rodenstock (was sonst) Trinar ist zwar nur ein Dreilinser, jedoch mit einer guten Lichtstärke von 1:4,5. Die Verarbeitung ist hochwertig und vermittelt das Flair eines Qualitätsprodukts. Sucher gibt es zwei: Einen unverglasten Klapp-Sportsucher sowie den (von mir durchaus geschätzten) Brillantsucher für diskretes Fotografieren in Bauchhöhe. Als Sahnehäubchen gibt es einen Selbstauslöser, welcher auch noch anstandslos funktioniert. Ohne Hilfsmittel gerade hinstellen läßt sich die Kamera nur im Hochformat, Stativschrauben gibt es jedoch für Hoch- und Querformat.

Eigentlich reicht es also schon, sie anzuschauen. Aber nur dafür kaufe ich keine Kamera. Schätzt man die Entfernung richtig und nutzt einen Drahtauslöser, so sind ansprechende Aufnahmen möglich. Von meinen 6x9 ist die Perle am kompaktesten, schon deshalb ist es natürlich interessant, sie auszuführen.

Man muß sich mit der Kamera aber erst einmal etwas eingrooven. Die einstellbare Nahgrenze beträgt 1,5 Meter, nicht berauschend, reicht aber für Portraits aus. Bei starken Vergrößerungen (heute begnügt man sich ja nicht mehr mit Kontaktabzügen) bemerkt man, daß das Objektiv eher weich abbildet und unvergütet ist. Die Fokussierung unten an der Standarte anstatt am Objektiv hat sehr kurze Wege, daher ist es schwieriger, genaue Werte im Nahbereich einzustellen, zumal die Skala auch nicht 100% exakt zu sein scheint. Der Verschluß geht, wie gesagt, deutlich härter als einer, den man vorspannen muß, auch mit Drahtauslöser bleibt eine Rest-Verwacklungsgefahr aus der Hand. Eine generelle Eigenheit vieler 6x9-Falter kann auch hier beobachtet werden, man neigt dazu, im Hochformat zu fotografieren, weil die Kamera dann besser in der Hand liegt. Zum empfehlen ist die Kamera für Portraits und Landschaftsaufnahmen, die, wenn man in der Geschwindigkeit der 30er an die Aufnahme drangeht, erfreulich gelingen können. Mit der extremen Abblendbarkeit bis 36 habe ich noch nicht experimentiert, könnte auch interessant sein.

Fazit: Mit ein wenig Einfühlungsvermögen kann man auch mit einem solchen Oldie schön fotografieren. Bessere, weichere Verschlüsse als Pronto, Derval, Ibsor oder Embezet sind bei den Früh-30er-Modellen seltener, sie gehen viel weicher als die genannten. Die Einfach-Dinger sind dafür sehr robust. Also nimmt man wie früher den Draht oder, wenn man alles ausreizen will, ein Stativ. Auf längere Zeiten muß man leider verzichten. Auf dem Stativ blendet man dann stärker ab, nimmt den Drahtauslöser und zählt Sekunden.

Für aufwendigere Verschlüsse und Objektive muß man zu späteren Modellen aus den späten 30ern bis frühen 50ern greifen. Das geht schon zu den Preisen los, die ich für die Perle bezahlt habe, dafür bekommt man vergütete Dreilinser und lange, weich laufende Verschlußzeiten. Die Luxusklasse mit Tessar o.ä. und Entfernungsmesser ist im Vergleich dazu heute extrem teuer, außerdem wiegt eine Super-Ikonta auch fast das Doppelte und ist viel dicker. Wenn man normalerweise 20x30-Bilder macht, kann man auch mit einem alten Mittelklasse-Dreilinser glücklich werden.

Die normalen 6x9-Falter aus der ersten Hochzeit dieser Kameragattung sind jedenfalls sehr interessant, zumal, wenn solche gestalterischen Perlen wie die beschriebene Welta Perle dabei sind, die zur damaligen Mittelklasse zu zählen ist. Mit den damaligen Standardfaltern wie der ersten Agfa Billy oder der Voigtländer Jubilar mit ihren lichtschwachen Objektiven hätte ich aber auch durchaus einmal Lust, mich zu beschäftigen.

Technik kompakt: Rodenstock Trinar-Anastigmat 1:4,5, abblendbar bis 36, Brennweite 10,5 cm, selbstspannender Verschluß Gauthier Pronto T/B/100/50/25, Selbstauslöser, Brillant- und unverglaster Klapprahmensucher, zwei Stativschrauben, Anschluß für Drahtauslöser. Recht helles Rotfenster, auch geeignet für schlecht bedruckte chinesische Filme, Gewicht 550 g, Maße zusammengeklappt: B 154 / H 83 / T 34 mm.

Bedienungselemente in Bild 1:
1. Anschluß Drahtauslöser
2. eingebauter Auslösehebel
3. Zeitverstellungsrad
4. Brillantsucher
5. Selbstauslöser (spannen, läuft, wenn man den Auslöser drückt)
6. Blendeneinstellung
7. Entfernungseinstellung am Laufboden

Bild 2:
8. Klapprahmensucher
9. Knopf zur Öffnung der Rückwand

Bild 3 (zusammengeklappt von vorn):
10. Knebel zum Filmtransport
11. Knopf zum Öffnen
12. Aussteller zum Aufstellen, hochkant
13. Stativmuttern für vertikal und horizontal

Viele Grüße,
Nils

Angefügte Bilder:
Bild1.jpg
Bild2.JPG
Bild3.JPG

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#2

RE: Rodenstock 6x9 (Welta Perle)

in Erfahrungsberichte 05.03.2011 23:29
von Gelöschtes Mitglied
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Hier noch Bildbeispiele:
Himmelsrakete (Lambertikirche Münster): Blende 9, 1/50s, Efke 50 in Rodinal 1+100 Kippentwicklung.

Eisengewicht: Offenblende 4,5, 1/50s, Efke 50 in Rodinal 1+100 Kippentwicklung, fokussiert war auf die minimalen 1,50 Meter, ich habe den Schärfepunkt auf das Gewicht leider knapp verpaßt, so ist es nun kurz hinterm Pfeiler scharf.

Schrott: Müßte Blende 12,5 mit 1/50s gewesen sein, Fuji Acros in Rodinal 1+50, hier ohne Drahtauslöser.

Angefügte Bilder:
IMG_0002-900.jpg
IMG_0004-900.jpg
IMG_0005-1-900.jpg

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#3

RE: Rodenstock 6x9 (Welta Perle)

in Erfahrungsberichte 06.03.2011 05:06
von Stephan K. • Mitglied | 999 Beiträge

Die Kamera ist aber eine ganz eine hübsche! Mit der kann man sich sehen lassen!


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