#1

Kiev 88

in Erfahrungsberichte 17.01.2011 13:49
von Lupo914 • Mitglied | 93 Beiträge

Hallole,

wie ihr gemerkt habt, lasse ich mich selten davon abhalten, auch mal Kameras auszuprobieren, vor denen dich deine Mutti warnt. Heute möchte ich mich mal als Kiev 88 Nutzer outen.
Wer meinen flickr Stream anschaut, wir bemerken, dass ich doch öfter mit dem russischen Ziegelstein unterwegs bin.
Kurz zur Geschichte. Die Kiev 88 bzw. ihre Vorgänger sind eine Kopie der größten Hasselblad Fehlkonstruktion, der 1600F / 1000F. Nach den Informationen die ich dazu gefunden habe, erschien die Saljut (Vorgänger der Kiev 80 / 88) ein Jahr nachdem Hasselblad die Fertigung dieser Modellreihe aufgegeben hatte. Ob man als den Russen das Design aus Rache verkauft hat, oder die sich die falsche Konstruktion als Raubkopie ausgewählt haben bleibt wohl im Nebel der Geschichte.

Grundproblem beider Kameras: sie ist nicht narrensicher und durch Fehlbedingung sofort zu zerstören. Beispiele:
- Verstellen der Belichtungszeit bei nicht gespanntem Verschluß > Briefbeschwerer
- versehentliches Verstellen der Belichtungszeit beim Spannen > Briefbeschwerer
- Filmkassette laden ohne exaktes einhalten der Mantras > Überlappungen
- der große Metallfolienverschluß ist genau da, wo normale Menschen beim Wechsel des Magazins ihren Daumen haben > Briefbeschwerer

Während die Hasselblad immer eher in Profihand war und als Werkzeug zum Broterwerb die entsprechende Wertschätzung und Behandlung erfuhr, kam die "billige" Kiev schnell in Hände von Amateuren mit wenig technischen Verständnis und geringer Affinität zu Anleitungen in kyrillischen Buchstaben.

Erschwerend kommt natürlich auch das nonchalente Verhältnis ukrainischer Arbeiter zur Fertigungsqualität hinzu. Für die Erfüllung des Planes zählte wohl eher der Ausstoß von "Kameras" denn von "funktionierenden Kameras".
So ist der heutige Gebrauchtkauf gleich in dreierlei Hinsicht eine Lotterie: hat der Vorbesitzer alle Regeln eingehalten, hat der ahnungslose Ebayverkäufer durch sein "es hat alles geklickt und gesurrt aber es ist ein Ebstück und ich kenne mich nicht aus" die Kamera zerstört und wie mag die Fertigungsqualität sein?

Zu meinen mittlerweile zwei Kiev 88. Nummer eins begleitet mich seit Anfang der 90er, also seit mittlerweile 20 Jahren und ist ein Kind des 5 Jahres Planes. Sie macht, wenn man alle Mantras brav aufsagt, sehr gute Bilder. Sie eignet sich auch für Eichhörnchenzählungen (unter den Baum Stellen, abdrücken, vor Schreck heruntergefallene Eichhörnchen zählen), wobei die Geräuschkulisse mit fortschreitender Nutzung etwas besser wird - ich fotografiere mittlerweile auch nach 20:00 Uhr mit ihr. Die einzigen Ausfälle habe ich durch Fehlbedienung verursacht indem ich als sich das Filmende verklemmt hatte zu fest gedreht habe. Sie hat interessante Spaltmaße zwischen Gehäuse und Filmmagazin durch die seltsamerweise kein Licht auf den Film fällt. Das ich trotzdem immer mit Klebeband abdichte liegt an meinem fehlenden Glauben.
Als die Fertigung der Kameras dieses Jahr eingestellt wurde, habe ich mir als Alternative zu einer Überholung ein neues Gehäuse nebst Filmmagazin aus der Ukraine für 150 Euro (inkl. Versand und Zoll) zugelegt.
Die Neue, wieder die klassische 88 und nicht die weiterentwickelte 88cm, hat mich mit vergleichsweise butterweicher Bedienung, kaum Spiegelschlag und leisem Verschluß überrascht - kaum zu glauben was in der Konstruktion steckt. Ich habe die Kamera bei einem ukrainischen ebay Händler als "CLA" (gereinigt, geschmiert, justiert) erworben und er hat wohl einen guten Job gemacht.

Wenn man sich eine solche Kamera zulegen will, sollte man es wie beim Gebrauchtwagenkauf halten. Im Zweifel jemanden mitnehmen der sich mit diesen Kameras auskennt Bei günstigen Neukameras aus der Ukraine muss die praktisch fehlende Garantie mit einbezogen werden. Durch die oben genannten Schwachstellen speziell bei älteren Kameras, würde ich sie nicht als einzige Kamera auf eine einsame Insel oder zur Hochzeit des (noch) besten Freundes mitnehmen. Die Bildqualität und die Arbeit mit diesem Gehäuseformat sagt mir dagegen sehr zu. Durch die Wechselmagazine kann ich schnell zwischen 6x6 und 4,5x6 bzw. verschiedenen Filmen wechseln. Das muss man nicht haben, aber wer von den Mitlesern muss schon...
Für Urlaube und Expeditionen wäre noch zu beachten, dass es sich um echtes "heavy metal" handelt. Damit ist klar, das es sich nicht um eine "immer dabei" Schnappschußkamera handelt. Für diese Zwecke empfehle ich im MF eine TLR oder Faltkamera.

Wolf

Angefügte Bilder:
IMGP3592sw.jpg

Meine Bilder bei flickr:
http://www.flickr.com/photos/24469035@N02/
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#2

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 17.01.2011 14:02
von Gelöschtes Mitglied
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Hallo Wolf,

sehr informativ und wirklich schön geschrieben. Ich musste beim Lesen doch sehr schmunzeln , nee, ich grinse immer noch.

LG Reinhold


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#3

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 18.01.2011 01:17
von RLindner • Mitglied | 1.201 Beiträge

Danke für den klasse Bericht!

Ich wusste gar nicht das sie so lange gebaut wurden.


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#4

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 18.01.2011 03:23
von Penta • Mitglied | 1.852 Beiträge

Ja, auch ich schmuzle - was die Falschbedienung oder sollte man besser sagen, die Anzahl der möglichen Fehlerquellen ist, lerne ich ja gerade bei meinem neuen Stück.

Fängt an beim vergessen des herausnehmens des Magazinverschluss und geht bis zu?

Wenn ich bisher mich nur über dunkle Mattscheiben gewundert habe und dann festgestellt hatte - der Objektivdeckel ist noch drauf - habe ich jetzt mehr Möglichkeiten was zu vergessen!

Steve


Steve
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#5

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 18.01.2011 03:54
von Gelöschtes Mitglied
avatar

Zitat von grommi
Ich musste beim Lesen doch sehr schmunzeln , nee, ich grinse immer noch.



Das geht mir ganz genauso!

Viele Grüße,
Nils


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#6

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 18.01.2011 03:54
von Lupo914 • Mitglied | 93 Beiträge

Zitat von Penta
Ja, auch ich schmuzle - was die Falschbedienung oder sollte man besser sagen, die Anzahl der möglichen Fehlerquellen ist, lerne ich ja gerade bei meinem neuen Stück.

Fängt an beim vergessen des herausnehmens des Magazinverschluss und geht bis zu?

Wenn ich bisher mich nur über dunkle Mattscheiben gewundert habe und dann festgestellt hatte - der Objektivdeckel ist noch drauf - habe ich jetzt mehr Möglichkeiten was zu vergessen!

Steve


Hallo Steve,

die Liste kann ich auch locker fortsetzen ;o)
Übrigends habe ich mir für erste Tests ein 120er Filmpapier aufgehoben, das ich anstatt eines "echten" Filmes 3-4 mal lade bis alles "sitzt". Da kann ich dann bei der Kiev 60 auch mal aufmachen und die Lage der Filmnummern peilen. Spart enorm...

Wolf


Meine Bilder bei flickr:
http://www.flickr.com/photos/24469035@N02/
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#7

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 18.01.2011 06:16
von Penta • Mitglied | 1.852 Beiträge

Ja, denke ich mir.

Ich habe natürlich gleich einen relativ neuen genommen - anstatt einer der eh schon lange abgelaufen war. Hatte ja eigentlich gedacht - Film rein und loslegen.

Jetzt mache ich halt im Dunkelsack den Rollfilmhalter auf und spule wieder zurück.
Die ersten Aufnahmen werden - wenn überhaupt - lustig aussehen :-).


Steve
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#8

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 19.01.2011 11:54
von uthaburn • Mitglied | 1.631 Beiträge

Grüß dich Wolf,

meine ersten wirklichen Mittelformatausflüge landeten auch bei einer Kiev 88 und einer Kiev 60, ich habe mir damals auch bei Wiese, die Bücher dazu bestellt, mit wunderbaren Aufnahmen die von der Kiev 88 gemacht worden sind. Allerdings mit einer von Wiese überarbeiteten Kamera und dazu passenden Schneider Kreuznach Objektiven..
Die Fotos mit der Kiev 60 waren eigentlich fast ok, die mit der 88 ein absoluter graus, ich hab den Fehler erst bei mir gesucht und hab mich dann an Baier Foto mit Rat gewendet.
Fakt ist folgendes und da bin ich jetzt ganz ehrlich:
Wer eine Kiev 88 kauft, träumt von einer Hasselblad, wie ich auch und versucht so eine Kamera , oder so ein System preiswert zu bekommen, so ist die Kiev 88 auch ein Nachbau der Hasselblad 1000, die selbst Victor Hasselblad als Fehlbau bezeichnet hat, weil der Titanverschluss extrem Störanfällig war, dass die Russen eine schwedische Fehlkonstruktion, in Kopie, nicht besser hinbekommen versteht sich von selbst. Die Objektive sind reine Glückssache, meist grottenschlecht bis gar nicht benutzbar, Fotos die halbwegs brauchbar sind resultieren auf das grössere Negativformat, aber nicht auf die Leistungsfähigkeit der Objektive.
Ich habe mich sehr schnell von den Russenkameras getrennt, auch weil meine Kiev 88 nach dem dritten Rollfilm nicht mehr wollte.
Ich habe jetzt eine Hasselblad und sooo viel teurer ist die nicht, wenn man ernsthaft fotografieren möchte und selbst wenn man dafür Jahre braucht um sich so ein System zusammenzusparen lohnt sich das, denn die Endresultate sind gravierend. Wer billig kauft, kauft zweimal, da ist was wahres dran......
VG
Frank


alles was Klack macht !!

http://home.fotocommunity.de/rolleiflex/index.php?id=1353326


zuletzt bearbeitet 19.01.2011 11:55 | nach oben springen

#9

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 19.01.2011 12:42
von Stephan K. • Mitglied | 999 Beiträge

Und die Blads sind wirklich narrensicher, da kann man z.B. auch nicht ausversehen das Magazin abnehmen sondern muss erst den Magazinschieber reinstecken um es abzunehmen. Ich möchte meine Blad nicht mehr missen. So, jetzt aber genug Werbung gemacht!

Grüße,
Stephan


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#10

RE: Kiev 88

in Erfahrungsberichte 20.01.2011 08:20
von Lupo914 • Mitglied | 93 Beiträge

Zitat von uthaburn
Grüß dich Wolf,

... Die Objektive sind reine Glückssache, meist grottenschlecht bis gar nicht benutzbar, Fotos die halbwegs brauchbar sind resultieren auf das grössere Negativformat, aber nicht auf die Leistungsfähigkeit der Objektive.
Ich habe mich sehr schnell von den Russenkameras getrennt, auch weil meine Kiev 88 nach dem dritten Rollfilm nicht mehr wollte.
Ich habe jetzt eine Hasselblad und sooo viel teurer ist die nicht, wenn man ernsthaft fotografieren möchte und selbst wenn man dafür Jahre braucht um sich so ein System zusammenzusparen lohnt sich das, denn die Endresultate sind gravierend. Wer billig kauft, kauft zweimal, da ist was wahres dran......
VG
Frank




Hallo Frank,

ich kann über die Objektive nicht klagen. Sie sind gut gerechnet, sollen aber manchmal auch unter Fertigungstoleranzen leiden. Ich nutze sie mit Adapter manchmal für KB, auch da kein Problem.
Bezüglich der Kosten habe ich wohl eine andere Weltsicht. Die Kiev gibt es neu für 250 Euro, gebrauchte Hassis in nutzbarem Zustand kosten ein Mehrfaches. Neu bekommt man vielleicht einen Schachtsucher für den Preis :-)
Aber Du hast Recht, eine Hassi mit Zentralverschluß ist schon ein Traum.

Zitat von Stephan K.
Und die Blads sind wirklich narrensicher, da kann man z.B. auch nicht ausversehen das Magazin abnehmen sondern muss erst den Magazinschieber reinstecken um es abzunehmen. Ich möchte meine Blad nicht mehr missen. So, jetzt aber genug Werbung gemacht!

Grüße,
Stephan


Hallo Stephan,

unterschreibe ich so nicht. Dein Beispiel gilt auch für die Kiev88, auch da brauchts einen Schieber und die Hasselblad 1000F hat alle Macken die auch die Kiev hat. Also genau differenzieren.

Grüße

Wolf


Meine Bilder bei flickr:
http://www.flickr.com/photos/24469035@N02/
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